Netzwerke als Wegweiser durch globale Herausforderungen

Mit der wissenschaftlichen Methode der Netzwerkanalyse werdenSchlüsselakteure in den Netzwerken Österreichs identifiziert, die über die Grenzen hinaus Strategien für aktuelle Herausforderungen entwickeln.

Krisen, Krieg und die grüne und digitale Doppeltransformation stellen Wirtschaft und Gesellschaft in Österreich und darüber hinaus vor große Herausforderungen. „Wer sind die entscheidenden Akteure in Österreich, die auf Herausforderungen respondieren und Strategien für deren Behebung entwickeln?”, fragt Harald Katzmair, Gründer und CEO des FAS Research. Um diese Frage zu beantworten, analysierte der Experte mithilfe der wissenschaftlichen Methode der Netzwerkanalyse die TOP-1000-Unternehmen und -Organisationen aus Politik und Gesellschaft in Österreich. Einzelne Akteure werden darin zu Netzwerkknoten zusammengefasst und die Verflechtung der Stakeholdergruppen durch Personen aufgezeigt. Entscheidend für die Analyse ist die Größe der Knoten, die sich aus den Beziehungen der zehn am besten vernetzten Akteure zusammensetzt. Je größer der Knoten, desto mehr Verantwortung und Bedeutung kommt der jeweiligen Stakeholdergruppe zu, was sie zur einflussreichsten Plattform macht. Als Schlüsselakteure können bestvernetzte Plattformen über Österreichs Grenzen hinaus Strategien entwickeln. Dank der hohen Effizienz der Beziehungen gelingt das ohne großen Aufwand und mit kürzesten Kommunikationswegen.

IV als Impulsgeber

Katzmair zufolge existieren fünf strategische Epizentren, die für die Identifizierung von Schlüsselakteuren in Österreich bedeutend sind. Dazu zählen Energie, Rohstoffe, Technologie, Finanzen und die EU-Regulierung. Sie bezeichnet der Experte als globale strategische Zentren (Centers of Gravity). Nach Betrachtung der fünf wesentlichen Epizentren im Rahmen der Netzwerkanalyse habe sich die Industriellenvereinigung (IV) als Plattform erwiesen, die besonders starke Verbindungen und eine zentrale Rolle in der Bewältigung von globalen Herausforderungen hat. „Ein wesentlicher Vorteil der IV besteht darin, dass sie Beziehungen zu strategischen Epizentren auf globaler Ebene unterhält, was sie zu einem wichtigen Gatekeeper für globale Entwicklungen macht, die Österreich mitbestimmt“, sagt Dominik Futschik, Bereichsleiter Strategie und Kommunikation der Industriellenvereinigung. Die Analyse hebt hervor, dass die Fähigkeit zur Koordination innerhalb der Netzwerke und die operative Fähigkeit, Strategien in politische Meinungsbildung umzusetzen, als entscheidende Stärken der IV angesehen werden.

Die soziale Netzwerkanalyse bildet die soziale Architektur eines Landes mit Akteuren aus den Sektoren Politik und Staat, Wirtschaft, Gesellschaft, Wissenschaft, Kultur, Sport, Zivilgesellschaft und Medien ab. FAS Research untersucht im Rahmen der Netzwerkanalyse ausschließlich institutionelle Verbindungen, die auf öffentlich zugänglichen Daten wie Registereinträgen und Rollen in Organisationen basieren. Informationen zu Freundschaftsbeziehungen, Verwandtschaften oder informellen Beziehungen werden nicht inkludiert. Die Vernetzung der Personen in Stakeholdergruppen wird durch Mehrfach-Mitgliedschaften von Führungskräften und Vorständen, Aufsichtsräten, Beiräten, Kuratorien und sonstiger Führungsgremien dargestellt.

Die IV sei somit sowohl nach innen als auch nach außen gut koordiniert, indem sie globale Trends erfasst, diese analysiert und in Konzepte überführt und darauf basierend Strategien entwickelt und umsetzt. „Die Epizentren der Einflussfaktoren befinden sich zurzeit außerhalb von Österreich und mit Ausnahme von Brüssel auch außerhalb von Europa. Genau hier hat Österreich zurzeit geoökonomische Schwierigkeiten. Aber die IV hat durch ihre Mitglieder Beziehungen zu vielen nationalen und globalen Plattformen und dient als Impulsgeber für relevante Themen des Standortes. Das ist das Entscheidende für ihre Position in der Netzwerkanalyse, da sie die Qualität der Informationen und Entscheidungen massiv verbessert und beeinflusst“, erklärt Katzmair.

Fragmentierung

Der Experte unterstreicht, dass es in Österreich um das Spielfeld der Netzwerke seit über 20 Jahren fast gleich bestellt ist. Klar seien über die letzten zwei Jahrzehnte minimale Veränderungen im Netzwerk vorgekommen, aber im Wesentlichen seien diese nicht auf Seiten der Plattformen, sondern auf Beziehungsebene der Akteure zueinander gewesen. Laut Katzmair ist die Fragmentierung des Netzwerks auf die Unterschiede zwischen Generationen zurückzuführen. „Ich beobachte seit Jahren Führungskräfte im System, die bis zu 40 Jahre alt sind und sehe, dass sie viel schwächere Beziehungen haben. Sie haben das Privileg, Beziehungen auf persönlicher Ebene aufzubauen, nicht mehr erlebt“, sagt der Experte. Das sei jedoch nicht die Schuld der jüngeren Generationen, sondern ein komplexes Thema, das auf ein System mit kurzfristigen Verträgen zurückzuführen sei. Aus diesem Grund setzt sich die Industriellenvereinigung dafür ein, Führungskräften nicht nur die Pflege von Beziehungskulturen, sondern auch das Bewusstsein für wahre Verbindungen, die über digitale Netzwerke wie LinkedIn hinausgehen, zu stärken. Futschik beschreibt persönliche Interaktionen in schwierigen Zeiten als unersetzlich und erklärt: „Die nächste Generation an Führungskräften tritt in eine Welt, in der soziales Kapital nicht mehr so selbstverständlich ist wie früher. Die Industriellenvereinigung hat zahlreiche Programme und Formate entwickelt und etabliert, um dieser Entwicklung entgegenzuwirken und die Kraft von Netzwerken zu voller Wirkung zu bringen“.

Foto: FAS Research

Koordinationsfähigkeit von Beziehungen

Neben der Herausforderung der fragmentierten Netzwerke erwähnt Katzmair, dass die größte Herausforderung derzeit darin liegt, wie wir es schaffen, weiterhin geteilte Wahrnehmungen von Wirklichkeit zu haben. „Wenn jeder von uns etwas anders sieht und wir es nicht schaffen, uns zu koordinieren und kleinste gemeinsame Wirklichkeiten zu teilen, dann sind wir weder strategie- noch handlungsfähig“, sagt der CEO. Für die Messung der Netzwerke teilt Katzmair die Netzwerkperformance in drei Hauptparameter. Den ersten Parameter bezeichnet er als den Zugang, der misst, über wie viele Handshakes jemand im Netzwerk alle 1.000 Stakeholder erreicht. Im zweiten Parameter geht es um die Koordinationsfähigkeit und die Beziehungsstärke. Das misst man über gemeinsame Dritte, die die Akteure miteinander haben. Der letzte Parameter misst die Variabilität und wie divers ein Netzwerk ist. Im Rahmen der Netzwerkanalyse sei es daher von Bedeutung, dass Plattformen nicht nur Beziehungen zu anderen Akteuren haben, sondern diese auch als „starke Verbindungen“ bewertet werden können. „Je mehr Beziehungen ich habe, desto besser bin ich informiert, weil eine Beziehung als Informationsquelle dient. Jemand, der diverse und stärkere Netzwerke hat, ist besser informiert“, sagt der Experte. Jedoch bestehe die Frage, ob die Beziehungen zum entscheidenden Zeitpunkt stark genug sind. „Wenn es schwierig wird, geht es darum, ob ich die Telefonnummer von jemandem habe und ob der andere auch abhebt. Da sprechen wir von Koordinationsfähigkeit“, sagt Katzmair.