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Ökonomische Vorbildwirkung statt Bürokratie-Rausch

Auf der Welt wurden „noch nie so viele Staaten so schlecht regiert” wie heute mit allen sozioökonomischen und ökologischen Folgen, urteilt die Bertelsmann-Stiftung. Statt mit Millionen Seiten Kleingedrucktem die Welt verbessern zu wollen, sollte Europa die Welt mit Vorbildwirkung von Demokratie, Freiheit und Wettbewerbskraft überzeugen.

Die Welt wird undemokratischer – und erfolgloser. Das ist das ernüchternde Ergebnis der Bertelsmann-Stiftung, die mit dem Transformationsindex (BTI) 137 auf ihre wirtschaftliche und demokratische Entwicklung hin untersucht hat. Ausgeschlossen von dem Index werden nur jene Länder, deren Demokratie über einen längeren Zeitraum als konsolidiert und deren wirtschaftlicher Entwicklungsstand als weit fortgeschritten angesehen werden kann. Die Gruppe der untersuchten Länder ist seit der letzten Indexveröffentlichung im Jahr 2022 um 21 Länder gewachsen – Asien, Afrika und Südamerika sind fast flächendeckend enthalten. Diese Grundtendenz alleine ist schon alarmierend, die Studie verdeutlicht aber auch, dass eine Schwächung der Demokratie und die Herrschaft autokratischer Regime ökonomische Konsequenzen haben. In aller Deutlichkeit: Autokratisch geführten Staaten geht es mehrheitlich wirtschaftlich schlechter. Von den 55 Ländern mit den größten wirtschaftlichen Einschränkungen sind nur fünf funktionierende Demokratien. Mit Singapur gibt es nur einen autokratischen Staat, der marktwirtschaftlich einwandfrei funktioniert. Europa sollte also weiterhin auf der ganzen Welt selbstbewusst für Demokratie und freie Marktwirtschaft als jene Systeme eintreten, die bisher weltweit am besten funktionieren. Dazu kann jede und jeder beitragen – als aktive Wählerin und aktiver Wähler.

Wovon sich Europa aber befreien muss, ist die moralische Überheblichkeit, mit der unsere Werte nach “friss oder stirb”-Mentalität auf die ganze Welt ausgerollt werden sollen. Europa verliert wirtschaftlich und damit auch politisch zunehmend an Gewicht auf der Welt – wir brauchen starke Partnerschaften in unterschiedlichen Weltregionen. Es sind vielleicht unangenehme Wahrheiten, denen wir uns stellen müssen, aber das macht sie nicht weniger wahr. Während sich Europa ziert, mit den Mercosur-Ländern Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay Abkommen zu schließen und immer neue Forderungen stellt, nutzt China die Chancen, die sich dort wirtschaftlich ergeben – ob das für Menschen, Klima und Wachstum in Europa und Südamerika die bessere Wahl ist, sei dahingestellt.

Wirtschaftlich liegen die Stärken Europas nicht nur am Binnenmarkt – die großen Wachtumschancen warten, wenn wir uns anderen Weltregionen öffnen und Partnerschaften mit befreundeten Demokratien wie den USA stärken. Statt uns darauf zu konzentrieren, verliert sich die EU derzeit in einem Bürokratie-Rausch, der die unternehmerische Innovationskraft mit einem wachsenden Berg an Berichts- und Informationspflichten lähmt. Die Lieferkettenrichtinie wird dafür sorgen, dass europäische Unternehmen weitere Berge an Formularen ausfüllen und Berichten erstellen, aber sie wird nichts daran ändern, dass – laut Bertelsmann-Stiftung – „noch nie so viele Staaten so schlecht regiert” werden wie heute mit allen sozioökonomischen und ökologischen Folgen. Statt mit Millionen Seiten Kleingedrucktem die Welt verbessern zu wollen, sollte Europa seine Stärken stärken und die Welt mit Vorbildwirkung von unserem Verständnis von Demokratie, Freiheit und Wettbewerbskraft überzeugen.

Ihr
Christoph Neumayer,
IV-Generalsekretär