Die EU im Spannungsfeld neuer globaler Allianzen

Ein Jahr nach dem Beginn des Ukrainekriegs zeichnet sich ein immer deutlicheres Bild der geopolitischen Auswirkungen ab, die für Exportnationen wie Österreich eine wichtige Rolle spielen.

Rund ein Jahr nachdem Russland in der Ukraine eingefallen ist und seither einen brutalen Krieg führt, zeichnet sich ein immer deutlicheres Bild der geopolitischen Auswirkungen ab. „Für Österreich als exportstarke Volkswirtschaft sind diese geostrategischen Verschiebungen von hoher Bedeutung für bestehende und künftige Handelspartnerschaften“, sagt Michael Löwy, Bereichsleiter Internationale Beziehungen & Märkte bei der IV. Derzeit richten sich alle Blicke auf China und dessen weitere Positionierung im Ukrainekrieg.

Zwischen Russland und China In der bisherigen Tolerierung des russischen Angriffs durch China und Indien sehen Beobachter eine erstarkende Allianz zwischen Russland, China und Indien sowie zentralasiatischen Staaten, die vom Wohlwollen dieser Großmächte abhängig sind. So wird beispielsweise kasachisches Öl durch russische Leitungen exportiert. „Von einem neuen Block zu sprechen wäre dennoch verfrüht“, so Löwy; das Verhältnis zwischen Russland und China sei seit Jahrhunderten angespannt. „Bei neuer Interessenlage könnte China eine Umkehr seiner Positionen einleiten und sich wieder dem Westen zuwenden. Russland geht ein deutliches Risiko ein, indem es sich von Europa wirtschaftlich abkoppelt und auf China fokussiert.“

China sei Russland nicht nur wirtschaftlich und militärisch überlegen – für China sind die USA und Europa auch die wesentlich wichtigeren Handelspartner. Bei den Importen in die EU lag China mit 22 Prozent aller Importe 2021 auf Platz eins; 2022 ist das Handelsvolumen mit Europa zwar gesunken und jenes mit Russland gestiegen, aber nach wie vor betragen die Exporte Chinas in die USA und nach Europa ein Vielfaches des Exportvolumens nach Russland. Das immer selbstbewusstere Auftreten Chinas sowie seine mal mehr, mal weniger vorsichtige Annäherung an Russland lässt andere asiatische Länder aufhorchen und bringt sie dazu, neue Allianzen vorzubereiten.

Mit Indien erstarkt eine neue wirtschaftliche Großmacht, die mittlerweile fünftgrößte Volkswirtschaft der Welt. Die Rolle Indiens könnte das Machtgefüge auf der weltpolitischen Bühne deutlich beeinflussen. Auch deshalb versucht die EU, ein Abkommen mit Indien in trockene Tücher zu bringen und die neue EU-Initiative „Global Gateway“ zu forcieren. Und nicht nur die EU bemüht sich um Indien: Im März erst warb Japans Premier Fumio Kishida bei einem Indien-Besuch für seine „Indo-Pazifik- Vision“ – und damit um ein Bündnis für ein stärkeres Auftreten gegenüber China.

Neue Partnerschaften für Europa

„Für Europa ist jetzt der richtige Zeitpunkt, sich um neue Handelspartnerschaften zu bemühen und vorhandene zu stärken – etwa auch jene mit den USA. Die EU wird einen Großteil der wirtschaftspolitischen Folgen des Kriegs tragen, da ihre wirtschaftliche Verflechtung mit Russland und der Ukraine deutlich höher ist als die anderer Länder, die Russland ebenfalls sanktionieren, wie etwa die USA, Kanada oder Japan. Auch wird die EU bei einem Wiederaufbau mehr als andere beitragen müssen“, sagt Löwy. Gleichzeitig ist die Nachbarschaft Europas ein fragiler Krisenherd: Nordafrika, der Nahe Osten und der Schwarzmeerraum sind politisch und daher auch in ihrer wirtschaftlichen Entwicklung instabil. Gleichzeitig bemühen sich sowohl Russland als auch China in diesen Regionen um Verbündete. „Umso wichtiger ist die Stärkung von Wirtschaftsbeziehungen über die direkte Nachbarschaft hinaus. Eine große Chance als First Mover hätte die EU jetzt gerade in der Mercosur-Region, doch das Zeitfenster könnte sich bald schließen, wenn andere Player schneller sind“, betont Löwy.

Energie und Rohstoffe

Ein Ausbau der Wirtschaftsbeziehungen ist auch für die Diversifizierung der europäischen Energieversorgung wichtig. Potenzielle Partnerschaften mit Staaten im Nahen Osten und im Norden Afrikas gewinnen dadurch immer stärker an Bedeutung für Europa und somit auch für Österreich als Gasdrehscheibe Europas. Einen ersten Schritt dahin gehend setzte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen bereits 2022 mit der Unterzeichnung einer Absichtserklärung für ein Erdgasabkommen mit Israel und Ägypten. Auch österreichische Regierungsvertreter und Wirtschaftsdelegationen bemühten sich zuletzt verstärkt um Energieimport- Partnerschaften. Im Hinblick auf die langfristige Sicherung der Energieversorgung Europas und Österreichs könnte auch das Projekt „Eastmed“ zunehmend an Bedeutung gewinnen: Durch den Bau der geplanten Pipeline könnten ab 2027 Länder wie Israel, Libanon, Ägypten und Zypern Gas aus ihren Fördergebieten direkt in das europäische Netz einspeisen. Technisch taugt das Projekt später auch dazu, klimaneutralen Wasserstoff nach Europa zu transportieren.

Auch an den Rohstoffmärkten führten die Folgen des Kriegs zu einer Achterbahnfahrt, die sich zwar zuletzt beruhigt hat, aber klar zeigt: Europa ist bei einer Vielzahl an Rohstoffen für die grüne und digitale Transformation abhängig von wenigen Lieferanten. Russland gehört global zu den wichtigsten Exportländern für Industriemetalle – beim Export von Palladium, Nickel und Aluminium ist das Land Weltmarktführer. Im Hinblick auf die grüne Transformation muss Europa deshalb nun Ausschau nach alternativen Handelspartnern – wie etwa der Mercosur- Region – halten.

Dieser Text erschien zuerst in der Aprilausgabe des Magazins iv-positionen.