Können Sie uns etwas über die wirtschaftspolitischen Schwerpunkte der lettischen Regierung erzählen? Was sind Ihre aktuellen Pläne im Bereich Infrastruktur und Verkehr?
Kaspars Briškens: Lettland hat erhebliche Fortschritte bei der Schaffung eines vorhersehbaren und transparenten Investitionsumfelds gemacht. Im Jahr 2024 haben wir Reformen umgesetzt, um den Verwaltungsaufwand zu reduzieren, Genehmigungsprozesse zu vereinfachen und die Genehmigungsfristen für große Investitionsprojekte zu verkürzen. Unser Baugenehmigungsverfahren gehört nun zu den effizientesten und am stärksten digitalisierten in Europa. Investoren können Anträge somit bequem über ein integriertes Online-System einreichen, wodurch administrative Hürden verringert und Projektfristen deutlich beschleunigt werden. Darüber hinaus hat Lettland seinen Rahmen zur Förderung von Investitionen weiter optimiert. Vereinfachte Beschaffungsverfahren für Rohstoffe und ein beschleunigter Zugang zu wichtigen Ressourcen bieten Großinvestoren weitere Vorteile. Gleichzeitig wurden rechtliche Vorgaben gezielt an die Anforderungen strategischer Projekte angepasst, um Lettland als attraktiven Investitionsstandort zu stärken.
Die strategische Lage Lettlands an der Schnittstelle zwischen Europa und Asien bietet einen unvergleichlichen Zugang zu über 500 Millionen Verbrauchern in der EU und den angrenzenden Märkten. Der internationale Flughafen Riga, der größte im Baltikum, bietet Verbindungen zu über 100 internationalen Zielen – darunter 18 wöchentliche Flüge nach Österreich – und gewährleistet eine effiziente Logistik für Waren und Personal. Unsere nationale Fluggesellschaft airBaltic, die führende Airline im Baltikum, ist eine der am schnellsten wachsenden Fluggesellschaften in Europa. Mit einer modernen Flotte von 50 Airbus A220-300 verbindet sie die Region mit über 70 Zielen in Europa und darüber hinaus. Die Airline, mehrheitlich im Besitz des lettischen Staats, bereitet sich auf den allerersten Börsengang Lettlands vor – ein bedeutender Schritt für unsere Luftfahrtindustrie. Auch unsere Häfen in Riga, Ventspils und Liepāja spielen eine Schlüsselrolle. Sie entwickeln sich von traditionellen Logistikdrehkreuzen zu dynamischen Geschäftszentren, die Innovation und Wirtschaftswachstum ankurbeln. Insbesondere der Hafen von Liepāja wird zu einem zentralen Knotenpunkt für Wasserstoffinnovation und -entwicklung im Ostseeraum ausgebaut.
Ein weiteres Leuchtturmprojekt ist Rail Baltica, ein Greenfield-Bahninfrastrukturvorhaben, dessen Ziel die vollständige Integration der baltischen Staaten in das europäische Bahnnetz ist. Ich freue mich, dass unter den Zulieferern des Projekts eine starke Präsenz österreichischer Unternehmen zu finden ist, die mit ihrer Expertise wesentlich zum Erfolg des Vorhabens beitragen.
Mit einem bilateralen Handelsvolumen von 296,2 Millionen Euro unterhalten Lettland und Österreich wertvolle Wirtschaftsbeziehungen. In welchen Bereichen sehen Sie Potenzial für eine intensivere Zusammenarbeit?
Lettland konzentriert sich aktiv auf wachstumsstarke Branchen, die im Einklang mit seiner Forschungs- und Innovationsstrategie für intelligente Spezialisierung stehen. Zu den Schlüsselsektoren gehören die wissensintensive Bioökonomie, Biomedizin, medizinische Technologien und Pharmazeutika, Photonik und intelligente Materialien, Technologie und technische Systeme, intelligente Energie sowie Informations- und Kommunikationstechnologien. Darüber hinaus ist Lettland führend in den Bereichen erneuerbare Energien und nachhaltige Technologien und engagiert sich stark für Projekte und Unternehmen, die die globale Energiewende vorantreiben.
Die lettische Mikroelektronikindustrie expandiert ebenfalls und deckt die Bereiche Mikrochipdesign, Waferherstellung und Siliziumkristallzüchtung ab. Damit stärkt das Land seine Position als wettbewerbsfähiger Akteur in der globalen Hightech-Produktion. Weiters ergänzt die Integration von blauer Biomasse aus der Ostsee die traditionellen Bioressourcen, wobei für die blaue Bioökonomie bis 2030 ein jährliches Wachstum von sieben Prozent prognostiziert wird.
Nach meinem Besuch in Österreich und den wertvollen Gesprächen während des Arbeitsessens in der österreichischen Industriellenvereinigung bin ich davon überzeugt, dass diese Sektoren mit hoher Wertschöpfung ein erhebliches Potenzial für den Auf- und Ausbau unserer bilateralen Zusammenarbeit bieten.
Die Wettbewerbsfähigkeit der EU ist ein zentrales Anliegen der Industriellenvereinigung. Der lettische Kommissar Valdis Dombrovskis wird in diesem Zusammenhang ein wichtiges Ressort betreuen. Was muss auf europäischer Ebene getan werden, um unsere Wettbewerbsfähigkeit zu steigern?
Wir müssen nicht nur eine hohe Wettbewerbsfähigkeit, sondern auch deren Nachhaltigkeit gewährleisten, indem wir sicherstellen, dass die Unternehmen produktiv und umweltfreundlich bleiben. Im Bereich Infrastruktur und Verkehr ist es essenziell, sowohl die kommerzielle Wettbewerbsfähigkeit als auch die militärische Mobilität zu stärken. So hat der Freihafen von Riga kürzlich zwei Investitionsvereinbarungen mit der Europäischen Exekutivagentur für Klima, Infrastruktur und Umwelt (CINEA) unterzeichnet, um die kommerzielle Leistung des Hafens und seine militärische Einsatzbereitschaft zu verbessern. Darüber hinaus genehmigte das lettische Ministerkabinett eine Investition in Höhe von 64,5 Millionen Euro zur Entwicklung der Infrastruktur des Freihafens von Riga. Diese Investition fördert die Produktion von Offshore-Windkraftanlagen in Lettland und spielt eine entscheidende Rolle in der Lieferkette der Europäischen Union.
Zur Person
Kaspars Briškens ist seit September 2023 Verkehrsminister Lettlands. Zuvor war er Abgeordneter des nationalen Parlaments, wo er auch den Vorsitz der sozialdemokratischen Fraktion „Die Progressiven“ innehatte. Davor hielt er unter anderem Führungspositionen bei Rail Baltica und diverse Positionen in der Diplomatie.