2024 braucht wirtschaftspolitische Kurskorrektur

2024 wird ein Jahr der globalen und nationalen Weichenstellungen. In Österreich sind dringende Strukturreformen notwendig, um wieder auf einen Wachstumskurs zu gelangen.

Einen „traurigen Meilenstein“ erreiche die globale Wirtschaft 2024, hieß es zu Jahresbeginn in einer Prognose der Weltbank: Die Organisation sieht die Gefahr eines weltweiten Abschwungs gebannt, erwartet aber insgesamt die schwächste globale Wachstumsleistung in einem halben Jahrzehnt seit den 1990er-Jahren.

Für Österreich ist das keine gute Nachricht. Hierzulande ist die Wirtschaft 2023 voraussichtlich noch stärker geschrumpft als in Deutschland, wo ein Einbruch von 0,6 Prozent erwartet wird. Ab dem zweiten Quartal des heurigen Jahrs könnte zwar eine leichte Erholung einsetzen, mit einem starken Wachstumsimpuls aus dem Export ist aber kaum zu rechnen; einerseits aufgrund der Schwäche der globalen Wirtschaft und des wichtigen Handelspartners Deutschland, andererseits aber auch aufgrund der Defizite des Wirtschaftsstandorts Österreich.

Inzwischen übersetzt sich die strukturelle Schwäche in eine konjunkturelle Apathie. Zur Erinnerung: In der IMD-Rangliste der 64 wettbewerbsfähigsten Länder der Welt ist Österreich zuletzt auf Platz 24 abgerutscht – im Jahr 2007 ging sich noch ein weitaus attraktiverer elfter Platz aus. „Die Probleme sind längst im Unternehmensalltag angekommen und werden bei einem wirtschaftlichen Aufschwung hinderlich sein; sei es durch den Mangel an qualifizierten Arbeitskräften oder aufgrund einer lähmenden Bürokratie und erheblich gestiegener Kosten durch anhaltend hohe Energiepreise sowie Löhne und Gehälter“, sagt IV-Präsident Georg Knill.

WAS 2024 IN ÖSTERREICH UMGESETZT WIRD

  • Senkung der Körperschaftssteuer
  • Abschaffung der kalten Progression
  • Senkung der Lohnnebenkosten

WELTWIRTSCHAFT

Woher also kann der Wachstumsimpuls kommen, den Österreich heuer so dringend bräuchte? Global betrachtet kommen dafür vor allem die USA infrage. Mit einem BIP von rund 25 Billionen Dollar stehen sie als größte Volkswirtschaft für ein Viertel der Leistung der Weltwirtschaft. 18 Prozent der globalen Wirtschaftsleistung entfallen auf China, wo sich das Wachstum erheblich eingebremst hat; dann kommt lange keine weitere Volkswirtschaft.

Japan und Deutschland liegen mit jeweils etwa vier Prozent fast gleichauf, erst dann folgt das wachstumsstarke Indien mit 3,8 Prozent. In den USA werden in Wahljahren zwar die fiskalischen Schleusen geöffnet, grundsätzlich ist eine Rezession 2024 aber noch nicht vom Tisch.

Je nach Wahlausgang könnte zudem der Zollstreit zwischen den USA und der Europäischen Union wieder aufflammen: Während seiner Amtszeit hatte Donald Trump als Vorgänger des gegenwärtigen US-Präsidenten Joe Biden Zölle von 25 Prozent auf Stahlimporte und zehn Prozent auf Aluminiumimporte verhängt. Erst nach zähen Verhandlungen wurde eine Übergangslösung mit zollfreien Kontingenten vereinbart, die nun von Präsident Biden vorerst verlängert wurde.

STRUKTURREFORMEN

„Was Österreich bleibt, ist alles zu tun, um die inländische Investitionstätigkeit anzukurbeln. Dazu ist ein wirtschaftspolitischer Kurswechsel notwendig. Wurde bisher durch hohe Subventionen lediglich Zeit für Anpassungen erkauft, wird immer deutlicher, wie dringend die österreichische Wirtschaft Strukturreformen benötigt“, sagt IV-Chefökonom Christian Helmenstein. Auf die aktuelle und die kommende Regierung wartet eine Vielzahl unpopulärer, aber notwendiger Maßnahmen – zum Teil Hausaufgaben, welche die deutsche Bundesregierung unter Kanzler Gerhard Schröder während dessen zweiter Amtszeit vor dem Hintergrund einer sehr hohen Arbeitslosigkeit bereits Anfang der 2000er-Jahre auf den Weg gebracht hat: eine Arbeitsmarktreform und eine Pensionsreform.

Die OECD stellt der Zukunftsfitness des österreichischen Sozialsystems kein gutes Zeugnis aus. Bei den durch das gegenwärtige Gesundheits- und Pensionssystem bis 2050 nicht abgedeckten Budgetlasten landet Österreich auf dem drittschlechtesten Platz (hinter Italien und Südkorea). Der Mercer Global Pension Index untersucht und vergleicht Altersversorgungssysteme in 47 Ländern weltweit und weist Österreich auf Rang 40 aus – in der Subkategorie Nachhaltigkeit des Pensionssystems wird Österreich sogar auf den letzten Platz verwiesen.

Bis zum Jahr 2050 beträgt der öffentliche Zuschussbedarf für das österreichische Pensionssystem, falls weitere Reformen unterlassen werden, kumuliert über eine Billion Euro, genauer 1.050 Milliarden Euro. Österreich böten sich enorme Chancen, wenn diese Budgetmittel in die Transformation des Bildungs-, Energie- und Verkehrssystems sowie in die Digitalisierung investiert werden könnten.

ARBEITSKRÄFTEMANGEL

Von einer Reform des Pensionssystems würde auch der Arbeitsmarkt profitieren – das AMS hat das im vergangenen November für die schrittweise Anhebung des Frauenpensionsalters ab 2024 vorgerechnet: Schon heuer soll es dadurch gut 22.000 zusätzliche Personen in Beschäftigung geben, bis 2028 nimmt ihre Zahl insgesamt auf rund 100.000 zu. Der Fach- und Arbeitskräftemangel trifft mittlerweile so gut wie alle Unternehmen, quer durch alle Bereiche.

„Helfen können weitere Strukturreformen wie stärkere Anreize, aus der Arbeitslosigkeit wieder in Beschäftigung zu finden beziehungsweise einer Vollzeitbeschäftigung nachzugehen – bisher ist das Steuersystem so ausgerichtet, dass sich (zusätzliche) Arbeit finanziell kaum lohnt“, mahnt IV-Präsident Knill einmal mehr entlastende Maßnahmen ein. Um der vergleichsweise hohen Teilzeitquote in Österreich zu begegnen, muss zudem ein Fokus auf der regional teilweise schwach ausgebauten Kinderbetreuung liegen, um Eltern eine Vollzeitbeschäftigung zu erleichtern.

ENERGIEWENDE

Wenn aus der weltwirtschaftlichen Entwicklung derzeit kein starker Wachstumsimpuls zu erwarten ist, wo liegt dann für Österreich Potenzial für Investitionen, die wiederum zu mehr Beschäftigung führen, dadurch Konsummöglichkeiten schaffen und für Wohlstand sorgen? Das derzeit größte Potenzial liegt in der Energiewende, die nicht nur ökologisch, sondern auch ökonomisch sinnvoll gestaltet werden kann. Bis 2030 liegt das zu stemmende Investitionsvolumen bei 60 Milliarden Euro, wenn Österreich die selbst gesteckten Ausbauziele erreichen will.

Laut Economica-Berechnungen wendet Österreich derzeit etwa 3,2 Prozent des BIP für den Import fossiler Energieträger auf. Das sind rund 15 Milliarden Euro jährlich, die bei einer gelungenen Energiewende zumindest zum Teil für Investitionen im Inland zur Verfügung stehen würden. „Allein diese Überlegung sollte Anreiz genug zu sein, durch eine umfassende Entbürokratisierung und die Gewährleistung von Planungssicherheit eine erhebliche Beschleunigung der Verfahren zu bewirken“, sagt IV-Ökonom Helmenstein.

EUROPA

Optimale Rahmenbedingungen braucht es auch auf EU-Ebene, wenn Europa als Wirtschaftsstandort in Zukunft nach wie vor eine tragende Rolle spielen will. „Bei der EU-Wahl im Juni ist es für die Wirtschaft in Österreich und Europa wesentlich, dass Menschen zum Zug kommen, die für ein weltoffenes und vereintes Europa stehen“, so Knill. „Europa ringt derzeit darum, den ökonomischen Anschluss in der Weltwirtschaft nicht zu verlieren. 2024 muss das Jahr der wirtschaftspolitischen Kurskorrektur werden – wir müssen die europäische Wettbewerbsfähigkeit auf neue Beine stellen, ein Bürokratiebelastungsmoratorium durchsetzen, europaweit die Beschleunigung von Genehmigungsverfahren für Energie- und Infrastrukturprojekte sicherstellen und die Rolle Europas durch eine selbstbewusste und aktive Außenwirtschaftspolitik angesichts globaler Krisen stärken.“

Die Ambitionen der EU im Umwelt- und Nachhaltigkeitsbereich haben sich in den vergangenen Jahren in einer umfangreichen Gesetzgebungsagenda niedergeschlagen: Zwischen 2019 und 2023 hat der europäische Gesetzgeber Unternehmen insgesamt 850 neue Verpflichtungen auferlegt, was mehr als 5.000 Seiten an Rechtsvorschriften entspricht. Knill: „Überbordende Berichtspflichten bedeuten enormen Verwaltungsaufwand und Compliance-Kosten für Unternehmen und stehen damit einer höheren Investitionstätigkeit im Weg. Der Abbau von Bürokratie ist ein kostenfreies Konjunkturprogramm. Er war selten so dringend und geboten wie jetzt.“

Die EU und Österreich sind 2024 weiterhin mit einer Vielzahl an Konflikten und Krisen konfrontiert. Es gibt aber auch Grund zu Optimismus: „In den letzten fünf Jahren hatten wir in Österreich in der Industrie eine wirklich gute Performance. Das war die Leistung unserer Arbeitskräfte, unserer Innovationskraft und unseres Gespürs für internationale Märkte“, sagt der IV-Präsident. Jetzt gehe es darum, den Unternehmen und ihren Beschäftigten wirtschaftspolitisch den Weg zu ebnen, um die Chancen, die Energiewende und internationaler Handel bieten, optimal nutzen zu können.