ANWÄLTIN DES STANDORTS

Die Wahl ist geschlagen, nun ist es Zeit für einen Realitätscheck. Österreich ist im zweiten Jahr einer konjunkturellen und strukturellen Rezession – auf die nächste Bundesregierung warten große Aufgaben.

Die Nationalratswahl in Österreich ist geschlagen. Nachdem in den Wahlprogrammen von Krisenstimmung wenig zu spüren war, ist es nun Zeit für einen Realitätscheck: Österreich befindet sich inmitten des zweiten Rezessionsjahrs, und für die Industrie geht es sogar bereits in das dritte Krisenjahr. In ihren aktuellen Herbstprognosen revidieren das IHS und das Wifo ihre Prognose für das heurige Jahr von einer schwarzen Null auf ein deutliches Minus von über einem halben Prozent, zugleich werden beide Institute beim Ausblick auf das kommende Jahr noch vorsichtiger: Mehr als ein realer BIP-Zuwachs von einem mageren Prozent ist nicht zu erwarten.

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Gleichzeitig sind durch die Unterstützungsmaßnahmen im Kontext der Krisen der vergangenen Jahre die Staatsschulden auf einen neuen Rekordstand geklettert. Im zweiten Quartal 2024 lagen sie laut Statistik Austria bei 394,8 Milliarden Euro. Im Vergleich zum vierten Quartal 2023 ist das ein Anstieg um 23,1 Milliarden Euro. Die Schuldenquote, das Verhältnis der Staatsschulden zum nominalen Bruttoinlandsprodukt (BIP), stieg im zweiten Quartal 2024 auf 78,7 Prozent – von der Maastricht-Vorgabe von höchstens 60 Prozent ist Österreich weit entfernt. In den krisengeprägten Jahren seit Ende 2019 bis Ende 2023 stiegen die öffentlichen Schulden des Gesamtstaats um 90,8 Milliarden Euro oder 32,3 Prozent auf 371,7 Milliarden Euro (78,6 % des BIP). „Zur Einhaltung der europäischen Fiskalregeln ist es notwendig, Maßnahmen zur Reduzierung der Schulden zu setzen. Die langfristige Nachhaltigkeit der öffentlichen Finanzen darf nicht zugunsten kurzfristiger budgetbelastender Maßnahmen gefährdet werden. Das ist eine große Verantwortung für die Zukunft, denn auch die nächste Generation braucht einen finanziellen Spielraum“, sagte Rechnungshofpräsidentin Margit Kraker anlässlich der Präsentation des Bundesrechnungsabschlusses 2023 Mitte des Jahres.

Im Zentrum der Regierungsverhandlungen müssen also aus Sicht der Industriellenvereinigung zwei Dinge stehen: Maßnahmen, die möglichst rasch die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen stärken, um Österreich den Weg aus der Rezession zu ebnen. Zugleich braucht es strukturelle Reformen, um das Budget zu sanieren. „Weder werden wir die Wirtschaft mit der Hilfs-Gießkanne wieder zum Sprießen bringen noch Budgetlöcher mit neuen Steuerfantasien stopfen. Dieser Art von Politik wurde bei der Nationalratswahl eine Absage erteilt“, sagt IV-Generalsekretär Christoph Neumayer.

Strukturelle Krise

Bei der wirtschaftlichen Abwärtsspirale, in der sich Österreich befindet, handelt es sich um ein Tandem aus konjunktureller und struktureller Rezession. „Während von den konjunkturellen Faktoren im kommenden Jahr ein leicht positiver Einfluss auf die wirtschaftliche Dynamik ausgehen wird, ist bei den strukturellen Faktoren derzeit nicht einmal ein Silberstreif der Besserung am Horizont zu entdecken“, bringt IV-Chefökonom Christian Helmenstein das Problem auf den Punkt. Bei den konjunkturellen Faktoren werden die Zinssenkungen ebenso wie das Baupaket insbesondere in der Bauwirtschaft zu wirken beginnen, die hohen Reallohnzuwächse werden sich konsumstärkend bemerkbar machen und der Lagerabbau kommt zu seinem Ende. Letzteres hat zur Folge, dass nun wieder verstärkt nachproduziert werden muss, was den leeren Lagern nicht mehr entnommen werden kann.

Bei den strukturellen Faktoren sind es jedoch nicht primär exogene Schocks aus Großkrisen medizinischer und geopolitischer Natur, welche die Wirtschaft hemmen, sondern größtenteils hausgemachte Nachteile, die die Chancen heimischer Unternehmen mindern, am globalen Wachstum teilzuhaben. Dabei fällt dieses mit rund drei Prozent in diesem und im kommenden Jahr gar nicht einmal schwach aus. Den anhaltenden Marktanteilsverlusten der österreichischen exportorientierten Wirtschaft muss sich die kommende Bundesregierung dringend stellen. Dazu braucht es ein starkes Standortministerium, Reformen in den Bereichen Arbeitsmarkt und Pensionen sowie Entlastungen bei Arbeitskosten, Energie- und Bürokratiekosten.

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Weniger Investitionen

Im Jahr 2021 gab es – angeschoben durch die Investitionsprämie – noch ein starkes Investitionsgeschehen. Seither ging es bergab, vor allem bei den Ausrüstungsinvestitionen und den Bauinvestitionen. Heimische Unternehmen investieren zudem häufiger an Standorten im Ausland, wo die Rahmenbedingungen dafür besser sind, während umgekehrt weniger ausländisches Kapital in den Standort Österreich fließt. Zwischen 2019 und 2023 lagen die Direktinvestitionen österreichischer Unternehmen im Ausland bei 41 Milliarden Euro, während ausländische Unternehmen in Österreich nur 25,3 Milliarden Euro investiert haben. Das hat Auswirkungen auf Arbeitsplätze, Wachstum und Innovation.

Wie ist Österreich in diese schwierige Lage geraten? Es ist vor allem das „Preis-Leistungs-Verhältnis“ des Standorts Österreich, das zur dramatischen Erosion der Standortattraktivität Österreichs geführt hat. Und bis dato ist keine Besserung in Sicht: Hohe Lohnabschlüsse lassen die Lohnstückkosten laut Oesterreichischer Nationalbank von 2023 bis 2026 um durchschnittlich 5,7 Prozent pro Jahr steigen – das sind um 2,1 Prozentpunkte mehr als im Euroraum. Gleichzeitig haben die bürokratischen Belastungen enorm zugenommen, was von den Unternehmen als Investitionshemmnis wahrgenommen wird. Vieles davon wird auf EU-Ebene entschieden – in der nationalen Umsetzung aber mitunter noch übererfüllt, was die Problematik weiter verschärft.

Strukturreformen

Trotz des Krisenmodus der vergangenen Jahre sind der letzten Bundesregierung einzelne Strukturreformen gelungen. So hat die teilweise Abschaffung der kalten Progression 2023/24 eine Entlastung im Gesamtvolumen von 1,95 Milliarden Euro gebracht. „Mit der Abschaffung der kalten Progression und den daraus folgenden Anpassungen der Steuerstufen kommen die Lohnerhöhungen auch tatsächlich bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern an. Dadurch wird Arbeit attraktiver und Leistung fairer belohnt“, sagt Neumayer. Weiterhin offen, aber dringend notwendig sind jedoch Reformen des Abgaben- und Pensionssystems, um Arbeitsanreize zu setzen und Leistung zu belohnen. Angesichts der stark gestiegenen Budgetbelastung durch das Pensionssystem muss der längere Verbleib älterer Menschen im Erwerbsleben attraktiver werden und die gestiegene Lebenserwartung im System abgebildet werden.

Auch eine Arbeitsmarktreform wird bei der nächsten Bundesregierung weit oben auf der Agenda stehen müssen, um dem anhaltenden Fachkräftemangel zu begegnen – neben Arbeitsanreizen hat damit aus Sicht der Industriellenvereinigung auch eine Reform des Arbeitslosengeldes einherzugehen. Hinzu kommt: Ohne qualifizierte Zuwanderung wird Österreich den Arbeitskräfte- und Fachkräftemangel kaum mindern können.

Abgabenquote senken

Bereits die Debatte über neue Steuerideen schadet dem Wirtschaftsstandort. Österreich ist schon jetzt mit 43,6 Prozent Abgabenquote – das sind Steuern und Sozialbeiträge in Prozent des BIP – in der (negativen) Weltspitze. Im internationalen Vergleich zeigt sich, dass eine hohe Abgabenquote keine notwendige Bedingung für einen gut ausgebauten Sozialstaat ist: In Island liegt die Abgabenquote bei 36 Prozent, in den Niederlanden bei 39 Prozent und in der Schweiz bei 27 Prozent. Eine schrittweise Senkung dieser Quote auf höchstens 40 Prozent in Österreich ist eine notwendige Entlastungsmaßnahme. Die Lohnnebenkosten müssen zumindest auf das Niveau Deutschlands gesenkt werden, um die Wettbewerbsfähigkeit österreichischer Unternehmen zu stärken – in Österreich betrugen die indirekten Arbeitskosten der Arbeitgeber in den Sektoren Industrie, Bauwesen und Dienstleistungen 2022 26,6 Prozent der Arbeitskosten, während sie in Deutschland bei 23,3 Prozent lagen.

Gleichzeitig wird demnächst auch die nächste EU-Kommission die Arbeit aufnehmen. Auf dieser Ebene braucht es aus Sicht der Industrie die Umsetzung eines ehrgeizigen „New European Competitiveness Deal“, die Ergänzung des „Green Deal“ durch eine Industriestrategie, eine ambitionierte Handelsagenda und unbedingt den bereits angekündigten, aber unterambitionierten Bürokratieabbau.

„Nur mit mutigen und ehrgeizigen Schritten wird es uns gelingen, Österreich wieder auf einen Wachstumspfad zu führen. Wirtschafts- und strukturpolitischen Stillstand oder gar standortschädliche Maßnahmen kann sich Österreich in der aktuellen Situation nicht leisten. Die Industriellenvereinigung wird auch in der bevorstehenden Legislaturperiode stets auf die notwendigen Maßnahmen für den Standort Österreich und Europa hinweisen und auch der neuen Bundesregierung stets als starke Partnerin und unabhängige Anwältin des Standorts zur Verfügung stehen“, sagt IV-Generalsekretär Neumayer.