Was treibt den globalen Trend zu mehr Protektionismus, insbesondere in Ländern wie den USA und China, voran?
Monika Köppl-Turyna: Mehrere Faktoren spielen hier eine entscheidende Rolle. Zum einen hat die Corona-Pandemie gezeigt, dass in bestimmten Bereichen der Produktion Abhängigkeiten entstanden sind, die anfälliger sind als zuvor angenommen. Ein weiterer Faktor ist die Ukraine-Krise, die unsere Energieabhängigkeit deutlich gemacht hat. Hinzu kommt der Aufstieg Chinas, der den Welthandel maßgeblich beeinflusst und damit zu einer ökonomischen und auch geopolitischen Herausforderung, insbesondere für die USA und auch Europa, geworden ist. Die Globalisierung ist heute nicht mehr nur ein ökonomisches, sondern auch ein machtpolitisches Thema.
Wie sehr schadet diese Trendumkehr hin Richtung mehr Protektionismus der Weltwirtschaft?
Auf den ersten Blick mag das „America First“-Prinzip des ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump bei vielen Wählern Anklang gefunden haben. Doch die Wirtschaftsdaten zeigen ein anderes Bild: Die von ihm eingeführten Zölle haben keine US-Arbeitsplätze gerettet. Im Gegenteil, sie haben zu Arbeitsplatzverlusten und weiteren Preiserhöhungen geführt, die insbesondere die ärmere US-Bevölkerung hart treffen. Protektionismus stützt sich auf vereinfachte Annahmen, die der komplexen ökonomischen Realität nicht gerecht werden. Dieser Trend ist daher primär politisch motiviert und weniger ökonomisch begründet.
Hat die Pandemie nicht auch gefährliche Abhängigkeiten offenbart, die mit einem hohen Grad an Globalisierung einhergehen?
In Bezug auf Abhängigkeiten ist es wichtig, strategische Autonomie in bestimmten Bereichen zu wahren. Es besteht jedoch die Gefahr, den Bogen zu überspannen, wenn man versucht, immer mehr Produkte, etwa medizinische Güter oder Energie, als strategisch einzustufen und sie unbedingt im eigenen Land produzieren zu wollen.
Welche Folgen hat der aufkeimende Protektionismus für Europa und insbesondere Österreich?
Für ein exportorientiertes Land wie Österreich ist Freihandel essenziell. Doch in politischen Diskussionen begegnet mir oft ein vereinfachtes Verständnis: Exporte werden als gut, Importe als schlecht betrachtet. Dabei wird übersehen, dass unsere Industrie auf Vorprodukte und Rohstoffe aus dem Ausland angewiesen ist. Günstige Importe senken die Produktionskosten und erhöhen unsere Wettbewerbsfähigkeit. Protektionismus würde hingegen die Kosten für Vorprodukte erhöhen und damit unsere Wettbewerbsfähigkeit schwächen.
Wie können wir also der zunehmenden Abschottung der Volkswirtschaften begegnen?
Besonders ein kleines Land wie Österreich darf nicht in die Protektionismusfalle tappen, sondern muss auf Freihandel und stabile Partnerschaften setzen. Die Zahlen belegen das deutlich: Der Beitritt Österreichs zur EU und zum Binnenmarkt bringt uns jährlich etwa 4.000 Euro pro Person. Studien zeigen, dass Österreich zu den größten Profiteuren gehört, da wir zollfrei exportieren und importieren können. Daher sollten wir so viel Freihandel und so viele strategische Partnerschaften wie möglich anstreben, um einseitige Abhängigkeiten zu vermeiden.
Wo ist Österreich als Standort besonders attraktiv, und wo liegen unsere Schwächen?
Österreich bietet eine hohe Infrastrukturqualität, einen sicheren Rechtsrahmen und Stabilität als Investitionsstandort. Besonders stark sind wir in Nischenbranchen wie grüner Produktion, Eisenbahnbereich, Energiewendekomponenten, pharmazeutischer Produktion und Life Sciences. Diese Bereiche bieten gute Chancen im internationalen Wettbewerb. Ein Nachteil sind die hohen Steuern und Abgaben, die Investitionen weniger attraktiv machen. Zudem verschärfen Überregulierung und „Gold Plating“ die Situation. Kritik gibt es auch am Bildungssystem, das oft nicht die benötigten Fachkräfte ausbildet, sowie beim Nachholbedarf in Digitalisierung und Lehrqualität.
Werden die Auswirkungen der hohen Kollektivvertragsanhebungen bedingt durch die Inflation weiterhin spürbar sein, oder sind sie bereits im Markt verarbeitet?
Die Lohnstückkosten haben sich in Österreich massiv von anderen Ländern entkoppelt, vor allem durch die Energiekrise und steigende Löhne. Das führt dazu, dass wir Kunden verlieren und der Standort für Investitionen unattraktiv wird. Die Auswirkungen sind bereits spürbar. Wir beobachten einen Rückgang der Investitionsquote in Österreich. Zudem veranlassen die höheren Kosten im Vergleich zur Konkurrenz viele Unternehmen kostengünstigere Standorte zu prüfen.
Wird sich dieser Trend auch in den Arbeitslosenzahlen niederschlagen, oder erwarten Sie hier eher geringere Auswirkungen?
Einerseits haben wir noch immer einen starken Fachkräftemangel, weshalb Unternehmen versuchen, ihre Mitarbeiter trotz wirtschaftlicher Schwierigkeiten zu halten. Allerdings könnte sich dies ändern, wenn die Konjunktur nicht bald anzieht. Mittelfristig dürfte die Arbeitslosigkeit daher steigen.
Wo liegen die größten Risiken und Chancen für den österreichischen Arbeitsmarkt angesichts des demografischen Wandels und des Fachkräftemangels?
Ohne Migration wäre unsere Erwerbsbevölkerung seit drei Jahren bereits rückläufig. Selbst mit 30.000 bis 40.000 Zuwanderern pro Jahr wird sie weiterhin leicht schrumpfen. Wir können also nicht allein auf die heimische Bevölkerung setzen, sondern müssen bestehende Arbeitskräfte besser auslasten und die strukturelle Arbeitslosigkeit angehen. Zudem ist Zuwanderung, auch in unqualifizierten Bereichen, unverzichtbar. Da andere EU-Länder ähnliche demografische Probleme haben, reicht eine EU-Zuwanderung nicht aus. Wir sollten arbeitswillige Asylbewerber frühzeitig integrieren und ihren Status nach zwei Jahren in reguläre Arbeitsmigration umwandeln. Auch muss die Arbeitszeit stabil bleiben, und das faktische Pensionsantrittsalter sollte zumindest auf das gesetzliche Pensionsalter angehoben werden – derzeit liegt es in Österreich bei Männern knapp über 60, einem der niedrigsten Werte weltweit.
Ein immer wieder diskutiertes Thema ist die 32-Stunden-Woche. Halten Sie das für realistisch?
Eine 25-prozentige Arbeitszeitverkürzung würde eine unrealistische Produktivitätssteigerung von 33 Prozent erfordern. Bisherige Zuwächse lagen bei nur drei bis vier Prozent. Besonders in der Industrie und bei Dienstleistungen ist ein solcher Anstieg unwahrscheinlich. Eine 32-Stunden-Woche würde, realistisch betrachtet, die Produktion und das BIP um sieben bis acht Prozent reduzieren und die Wettbewerbsfähigkeit senken. Die Lohnstückkosten würden auch ohne Lohnausgleich steigen. Kurz gesagt, eine 32-Stunden-Woche wäre wirtschaftlich nicht tragbar.
Wo sehen Sie Österreich in zehn Jahren?
Wirtschaftsforscher sagen oft: „Es kommt darauf an“ – und das trifft auch hier zu. Mit einem Wachstum unter zwei Prozent und anhaltend höherer Inflation sind die mittelfristigen Aussichten düster, wenn wir nicht handeln. Bleiben wir bei „business as usual“, riskieren wir in zehn Jahren weniger Investitionen und einen unattraktiveren Standort. Doch wenn wir jetzt die großen Themen anpacken, gibt es erhebliches Potenzial. Unsere starken Branchen können wettbewerbsfähig bleiben, wenn wir die richtigen Rahmenbedingungen schaffen.