Das von der Industriellenvereinigung vorgestellte „SOS-Wohlstand“-Paket enthält Maßnahmen zur Renaissance des Wirtschaftswachstums in Österreich. Was sind aus Ihrer Sicht die dringendsten Schritte, die jetzt unternommen werden müssen, um die Wettbewerbsfähigkeit Österreichs zu sichern?
Georg Knill: Der Standort Österreich ist in den vergangenen Jahren stark unter Druck geraten, ausgelöst durch steigende Kosten für Energie, wachsende Lohnkosten sowie massiv zunehmende bürokratische Belastungen – das bremst auch Investitionen und Konjunktur massiv. Die Industrie verharrt seit Mitte 2022 in einer Rezession. Deshalb haben wir als Industriellenvereinigung das „SOS-Wohlstand“-Paket zusammengestellt. Die dort angeführten acht Punkte müssen von der nächsten Bundesregierung dringend umgesetzt werden. Unter anderem muss die Steuerquote bis 2030 auf unter 40 Prozent sinken, eine Pensionsreform angegangen werden, Wirtschaftsbildung in den Schulen vermittelt werden, Lohnnebenkosten müssen endlich gesenkt werden, die Exporte angekurbelt, der Green Deal der EU verbessert und die Bürokratie zurückgedrängt werden. Und wir wünschen uns, dass Unternehmertum und die damit einhergehende Verantwortung wieder mehr Wertschätzung erfährt und Unternehmer-Bashing wieder ein Ende findet.
Weil Sie die Anerkennung von Unternehmertum erwähnt haben, hier dürfte es viel Nachholbedarf geben. Österreich ist im IMD-Ranking zur Wettbewerbsfähigkeit erneut gefallen. Wie kann diese negative Entwicklung umgekehrt werden?
Um diesem Trend entgegenzuwirken, braucht es wie angesprochen einen konsequenten Abgabenreduktionspfad, einen Kahlschlag des Bürokratiedschungels und verfügbare Energie zu leistbaren Preisen. Vor allem aber braucht es einen gesellschaftlichen Wandel und eine Stärkung der Eigenverantwortung und des Leistungsgedankens. Wir müssen wieder zu Tugenden wie Leistung und Eigenverantwortung zurückkehren. Der Vollkasko-Staat, der Eigeninitiative und Risikobereitschaft hemmt, muss dringend reformiert und Unternehmertum wieder positiv verankert und gestärkt werden. Das ist eine gesamtgesellschaftliche Anstrengung. Da hilft die Verankerung von Wirtschaftsbildung in den Schulen, wie wir es auch vorschlagen, mittelfristig sicher auch.
Sie fordern eine Reduktion der Steuerquote auf 40 Prozent bis 2030. Welche konkreten Schritte schlagen Sie vor, um dieses Ziel zu erreichen, ohne die Stabilität des Sozialsystems zu gefährden?
Österreich hat kein Einnahmen-, sondern ein Ausgabenproblem. Ein effizienter Staat kann weiterhin für die Bürgerinnen und Bürger arbeiten, ohne neue Abgaben einzuheben, doch aktuell ist Österreich Weltmeister beim Besteuern. Die Abschaffung der kalten Progression war bereits ein richtiger, erster Schritt, aber es muss noch mehr getan werden. Ein gutes Beispiel sind die Lohnnebenkosten. Bei den Arbeitgeberbeiträgen liegt Österreich mit 21,8 Prozent über fünf Prozentpunkte höher als Deutschland. Insbesondere durch eine massive Senkung der Lohnnebenkosten – ohne dabei den Sozialstaat in Frage zu stellen – gelingt es, dass den Menschen mehr Netto vom Brutto überbleibt und die Steuerquote sinkt.
Der Fachkräftemangel ist eines der zentralen Themen in Österreich. Welche konkreten Maßnahmen sind notwendig, um qualifizierte Arbeitskräfte nach Österreich zu holen und langfristig zu binden?
Wir haben im ersten Halbjahr in Österreich rund 200.000 offene Stellen verzeichnet, das sind fast dreimal so viele wie noch vor einem Jahrzehnt. Demgegenüber stehen auch ungenutzte Arbeitskräftepotenziale: Im Bereich älterer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, bei den vielen Teilzeitbeschäftigten und bei Frauen. Hier schlummert ein großes Beschäftigungspotenzial, das es dringend zu heben gilt – dazu braucht es unter anderem auch einen Ausbau einer qualitativ hochwertigen und flächendeckenden Kinderbetreuung. Darüber hinaus müssen wir Österreich als Standort attraktiver gestalten, damit gut ausgebildete potenzielle Arbeitskräfte ins Land kommen – bei der Rot-Weiß-Rot-Karte kann beispielsweise trotz zahlreicher Verbesserungen noch ein wenig nachgebessert werden.
Die Industriellenvereinigung fordert einen „Befreiungsschlag aus dem Bürokratiedschungel“. In welchen Bereichen der Bürokratie müssen Unternehmen aus Ihrer Sicht am dringendsten entlastet werden?
Auf europäischer Ebene muss die angekündigte Verringerung der Berichtspflicht um 25 Prozent unbedingt umgesetzt werden. Darüber hinaus müssen alle Berichtspflichten und Richtlinien auf europäischer Ebene zukünftig so gestaltet sein, dass sie in allen Mitgliedstaaten auf die gleiche Weise umgesetzt werden können. In Österreich wäre ein „Once Only“-Ansatz wichtig: Berichtspflichtige oder melderelevante Informationen sollten nur einmal an eine zentrale Stelle übermittelt werden müssen. Diese Stelle sorgt dafür, dass diese Information an alle berechtigten Informationsempfänger verteilt wird. Das würde den Unternehmen enorm viel bürokratischen Mehraufwand sparen. Und bei der nationalen Umsetzung von EU-Richtlinien muss Gold Plating, das Übererfüllen der Vorgaben, vermieden werden.
Sie betonen die Bedeutung des Exports und fordern, dass Österreich eine aktivere Rolle in der Gestaltung von Freihandelsabkommen einnimmt. Welche Freihandelsabkommen sollten aus Ihrer Sicht prioritär verfolgt werden?
Als Exportnation sind wir auf fairen Handel mit verlässlichen Partnern angewiesen. Mit einer Exportquote von 60 Prozent werden 1,2 Millionen Arbeitsplätze durch die Ausfuhr heimischer Produkte gesichert. Österreich muss deshalb seine ablehnende Position bezüglich fairer Freihandelsabkommen ändern und sich vom Blockierer zum Gestalter des Freihandels bewegen. Es gilt daher, eine aktive EU-Handelspolitik, welche globale Märkte für heimische Betriebe öffnet sowie entsprechende Abkommen, zu unterstützen. Die EU hat mit Mercosur ein praktisch fertig verhandeltes Abkommen mit Lateinamerika, es muss nur umgesetzt werden. Und auch ein Abkommen mit Indien wäre strategisch enorm wichtig.
Sie sprechen sich klar gegen Vermögens-, Erbschafts- und Schenkungssteuern aus. Was sind Ihre Alternativvorschläge, um die finanzielle Belastung des Mittelstands zu verringern und gleichzeitig den Standort Österreich zu stärken?
Welche Parteien auch immer die nächste Regierung bilden, die Senkung der Abgabenquote muss angegangen werden. Konzepte einer Erbschafts- und Vermögensteuer sind da das genaue Gegenteil, so stellt sich Österreich nur selbst ein Bein. Fast kein Land in der EU setzt mehr auf diese veralteten Konzepte, sondern vielmehr auf Wachstum, Innovation und Leistung. Es braucht einen effizienten Staat, der es arbeitenden Menschen ermöglicht, sich etwas aufzubauen.