China, USA, EU - Das neue Gefüge der Weltmächte

Wir erleben eine Zeitenwende. Das Machtgefüge zwischenden Weltmächten verschiebt sich sowohl politisch wie auch wirtschaftlich. Es steht außer Frage, dass sich die strategische Rivalität zwischen China und den USA in den vergangenen Jahren deutlich intensiviert hat. Doch wo steht Europa?

Ein Zitat von Napoleon besagt: „Lasst China schlafen, denn wenn es erwacht, wird es die Welt erschüttern.” Haben sich die USA und Europa Macht und Einfluss bisher untereinander aufgeteilt, so hat sich mit China ein potenter dritter Player auf der wirtschaftlichen Bühne etabliert. China schläft nun nicht mehr. In den vergangenen Jahrzehnten ist China wirtschaftlich aufgewacht. Doch es geht nicht nur um die wirtschaftliche Vormachtstellung, es geht auch um politischen Einfluss. Ein Umstand, den die USA und Europa deutlich zu spüren bekommen.

Neue Spielregeln

„Für die USA ist China der größte Herausforderer, weil sie eine andere Weltsicht haben als die Amerikaner,“ erklärt dazu Frank Sieren, Bestsellerautor und China-Experte. China arbeite gemeinsam mit den BRICS-Staaten und anderen Ländern an einer Weltordnung, in der ein Konsensprinzip gilt. Eine Ordnung also, in der nicht mehr der Stärkere, sondern die Mehrheit die Richtung prägt. Das ist der zentrale Punkt der Rivalität zwischen China und den USA. „Die Amerikaner merken immer deutlicher, dass sich ihre Macht, die Spielregeln in der Welt durchzusetzen, dramatisch verringert.“ Peking wünscht sich, dass Europa in diesem Machtspiel der dritte große Player wird, eine ernsthafte Alternative zu den USA. „Aus der Sicht Pekings stellt sich Europa aber sehr ungeschickt an, wenn es darum geht, gemeinsame Interessen zu finden und diese international zu vertreten“, erklärt der Bestsellerautor. Aus der Sicht Pekings orientiere Europa sich viel zu eng an den USA.

Verlust wirtschaftlicher Stärken

Europa ist drauf und dran seine wirtschaftlichen Stärken wie die Maschinenbau- und Autoindustrie zu verlieren. Viel zu zögerlich wurde auf die wirtschaftliche Innovationskraft Chinas reagiert. So als könne man nicht glauben, dass hier existenzbedrohende Konkurrenz möglich ist. Nun stehen sogar Werksschließungen in der deutschen Automobilindustrie im Raum. Andere Länder waren mit der Entwicklung von E-Autos schneller – allen voran natürlich China. Deutsche Autos standen für hohe Qualität und Verlässlichkeit, das führte weltweit zu einem hohen Marktanteil. Der Umstieg auf die E-Mobilität wurde jedoch von den Herstellern „verschlafen“, Marktanteile gehen verloren.

„Der Erfolg chinesischer Autos beruht nicht mehr darauf, dass sie Know-how klauen und ihre Industrie subventionieren, sondern dass sie innovative, eigenständige Autos bauen, eben nicht mehr nur in der Mittel- und in der Kompaktklasse, sondern auch bei den Premium-Fahrzeugen“, so Sieren. Hinzu kommt: Hohe Erträge der europäischen Autoindustrie kamen bisher aus China. Diese Erträge schmelzen nun weg. Unter dem Strich hat das verheerende Folgen für die europäischen Autobauer.

Spielregeln der Innovation

Europa habe seine Innovationskraft verloren und auch den Mut zum Risiko, so Sieren. Die Grundlagenforschung sei zwar noch herausragend, daraus jedoch ein wirtschaftlich erfolgreiches Alltagsprodukt zu generieren, falle immer schwerer. „Das können die Amerikaner besser als die Europäer.“ Der dritte Punkt sei die produktive Zusammenarbeit zwischen Staat, innovativer Privatwirtschaft und Startup. „In Europa neigt der Staat eher dazu, bei Innovationen mit Regulierung zu reagieren. Das hat einen einfachen Grund: Regeln kann man leicht aufstellen, und innerhalb einer Legislaturperiode umsetzen. Häufig führen jedoch zu viele Regeln dazu, dass die Industrie die Lust verliert, innovativ zu sein.“ In China ist dies anders. Da gibt es zuerst Geld, um von Seiten des Staates Wettbewerb herzustellen, damit man vorankommt. Erst wenn die Innovation alltagspraktisch funktioniert und man Erfahrungen mit ihr hat, generiert man aus diesen Erfahrungen Regeln. In dieser Hinsicht kann Europa von China lernen, gibt Sieren zu bedenken.

Die Bedeutung der BRICS-Staaten

Ob die BRICS-Staaten, zu denen neben Brasilien, Russland, Indien und China auch Südafrika, und seit Jahresbeginn 2024 auch Ägypten, Äthiopien, Iran und die Vereinigten Arabischen Emirate gehören, im Match der Weltmächte mitmischen werden, sind sich die Experten nicht einig. Ein Ziel von BRICS ist es jedoch, ein Gegengewicht zur wirtschaftlichen und politischen Dominanz des Westens zu bilden. Auf die BRICS-Staaten entfallen 46 Prozent der Weltbevölkerung, die G7 (USA, Kanada, Japan, UK, Deutschland, Frankreich, Italien) bringen es nur auf zehn Prozent. Schon seit 2022 ist der Anteil von BRICS an der weltweiten Wirtschaftsleistung größer als jener der G7 Länder: 35,6 Prozent für BRICS vs. 31,6 Prozent für die G7. Innerhalb der BRICS ist China ebenso dominant, wie es die USA bei den G7-Staaten sind. Damit zeigt sich auch hier, dass es weiterhin auf ein „Match“ zwischen den USA und China hinauslaufen wird.

USA nach der Wahl

Auf der anderen Seite steht in den USA die Präsidentschaftswahl an, was einen weiteren Unsicherheitsfaktor für Europa darstellt. Vom Ausgang der Wahl wird für Europa einiges abhängen. „Prinzipiell trauen die Finanzmärkte Trump mehr wirtschaftliche Kompetenz zu. Man muss aber auch zugestehen, dass die Wall Street besonders unter den demokratischen Präsidenten Clinton und Obama sehr gut performt hat“, erklärt Monika Rosen, Börsenexpertin und Vizepräsidentin der Österreichisch-Amerikanischen Gesellschaft.

Politanalyst Bernhard Seyringer: „Die USA werden die strategische Entwicklung ihrer Wirtschafts- und Industriepolitik ungeachtet des Wahlergebnisses vorantreiben. Auch Präsident Biden hat den Kurs in der internationalen Wirtschaft mehr oder weniger von Präsident Trump übernommen. Die Strategiefähigkeit der US-Institutionen ist beachtlich, hier sollte Europa ein hohes Maß an Lernbereitschaft zeigen.“ Es ist anzunehmen, dass die USA bei einer grundsätzlich protektionistischen Haltung bleiben werden, egal, wer im November die Wahl gewinnt. Eventuell wird die Akzentuierung in diese Richtung unter Trump stärker ausfallen als unter Harris. „Europa muss sich daher, verstärkt um die eigenen Hausaufgaben kümmern. Wir müssen in puncto Technologie und Ökologie zukunftsfit werden, um international bestehen zu können“, ist Rosen überzeugt.

Zwischen China und den USA

Viele heimische Industriebetriebe spielen auch mit dem Gedanken, zumindest teilweise aus Europa abzusiedeln. Dazu Seyringer: „Die europäische Industrie sollte sich nicht auf die Flucht vor europäischer Politik machen. Obwohl diese aktuell kein Interesse an Wohlstand und Zukunft ihrer Bürger zeigt, sondern ausschließlich ideologische Ziele verfolgt, die noch dazu den wirtschaftlichen Wettbewerbern beinahe komplizenhaft in die Hände spielen.“ Die EU-Institutionen müssten sich wieder für eine europäische, wohlstandsfördernde Industriepolitik stark machen. Ein diesbezügliches Einwirken wäre dringend erforderlich, so Seyringer. „Die europäische Industrie ist ein starker, wichtiger Player, der für die Wiedereinführung von Vernunft und Faktenorientierung – der Kern der vielzitierten europäischen Werte – in den Institutionen politisch Einfluss nehmen muss.“

In China werden seit Ende der 1950er-Jahre enorme Ressourcen dafür abgestellt, um europäische Technologie-, Wirtschafts- und Außenpolitik genauestens zu beobachten. In Europa kümmert man sich hingegen kaum darum. „Diesen Informationsvorsprung Europa gegenüber, macht man sich in Peking zu Nutze, wenn es darum geht, wirtschaftspolitische Weichenstellungen mit den USA zu hintertreiben. Manchmal ja durchaus mit dem Wohlwollen mancher europäischen Staaten. Von denen müssen einige aktuell lernen, dass „Win-win“ in China bedeutet, dass China zweimal gewinnt“, so Seyringer.

Aktuell hat Europa auch den Wettlauf um die Digitalisierung mit den USA verloren. Billiger als China zu produzieren, ist nicht zu schaffen, das werde ebenfalls Einbußen bringen. Europa muss sich daher auf seine Kernkompetenzen besinnen, dazu gehören sicher Nachhaltigkeit und Umweltschutz. „Europa muss verstärkt als gemeinsamer Wirtschaftsraum agieren, um die Synergien zu heben. Darin steckt natürlich auch die Chance des weiterentwickelten „Gemeinsamen Marktes“, wie sie der Letta-Report beschreibt. Europa ist dabei Teil des „Westens“, ideologisch wie wirtschaftlich“, so Rosen. Ein Beispiel dafür sind die Strafzölle auf chinesische E-Autos: Ebenso wie die USA, hat auch die EU solche Zölle eingeführt, wenngleich das Ausmaß deutlich moderater ausfiel als bei den Amerikanern. Rosen: „Vielleicht liegt in einer gewissen Brückenfunktion auch eine mögliche Antwort, wie wir als Europäer unseren Platz in einer multipolaren Welt besser behaupten können“, sagt Rosen abschließend.