Ein Schlüsselpunkt für den formellen Start der Twin Transition war die Veröffentlichung des „Strategic Foresight Report 2020“. Dieser Bericht legte die Grundlage für die strategische Ausrichtung der EU in den kommenden Jahrzehnten. Heute versteht man unter der Twin Transition die gleichzeitige und ineinandergreifende Umsetzung der grünen und digitalen Transformation in Europa. Thomas Östros, Vizepräsident der Europäischen Investitionsbank (EIB), sagte: „Wenn wir nachhaltiges Wachstum, Innovation und Wettbewerbsfähigkeit fördern und uns auf künftige Herausforderungen vorbereiten wollen, brauchen wir Investitionen.“ Die Twin Transition ist ein komplexes Vorhaben, das mit erheblichen Kosten verbunden ist – gleichzeitig steckt darin ein enormes Wertschöpfungspotenzial in Europas Positionierung als Green Innovation Leader. Eine zentrale Frage ist: Wie kann Europa dieses wichtige Zukunftsinvestment finanzieren?
Nach Berechnungen der Europäischen Kommission werden allein für die grüne Transformation bis 2030 rund 1,8 Billionen Euro benötigt, um die Klimaneutralität bis 2050 zu erreichen. Diese Summe deckt Investitionen in erneuerbare Energien, Energieeffizienz, nachhaltige Mobilität und den Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft ab. Hinzu kommen Investitionen in die digitale Transition, die mit weiteren 550 Milliarden Euro beziffert werden. Diese Gelder sind notwendig, um die digitale Infrastruktur zu modernisieren, Breitbandnetze auszubauen, Künstliche Intelligenz (KI) zu fördern und die digitalen Kompetenzen der Bevölkerung zu stärken. Östros sagte: „Die Investitionsoffensive des europäischen Green Deals hat das Ziel, bis 2030 eine Billion Euro an nachhaltigen Investitionen zu mobilisieren. Ein Viertel des EU-Haushalts soll für klimabezogene Initiativen bereitgestellt werden. Der Plan nutzt die InvestEU-Garantie, um private Mittel anzuziehen, und umfasst den Just-Transition-Mechanismus zur Unterstützung von Regionen, die am stärksten von der grünen Transformation betroffen sind.“
Die Europäische Investitionsbank-Gruppe (EIB-Gruppe) spielt eine Schlüsselrolle bei der Finanzierung von Projekten, die die politischen Ziele der EU unterstützen, darunter ausgewogenes Wachstum, die Reduzierung regionaler Ungleichheiten und ein gerechter Übergang zur Klimaneutralität. Sie vergibt Darlehen und Finanzierungen an öffentliche und private Projekte und arbeitet zur Verstärkung ihrer Wirkung eng mit anderen Finanzinstituten zusammen. Östros betonte: „Im Jahr 2023 haben wir insgesamt 88 Milliarden Euro an neuen Finanzierungen unterzeichnet, davon 1,3 Milliarden Euro in Österreich.“ Seit über 50 Jahren fördert die Gruppe in Österreich vor allem kleine und mittlere Unternehmen sowie Projekte in den Bereichen Verkehr, Energie und zunehmend auch bezahlbaren Wohnraum. Nun steht die Twin Transition in den nächsten Jahren ganz oben auf der Agenda der EIB-Gruppe. Östros: „Alle europäischen Volkswirtschaften sollten bestrebt sein, sich möglichst gut gegen die Folgen des Klimawandels und Wirtschaftskrisen zu wappnen. Für Österreich, das sich bisher stark auf Tourismus und Landwirtschaft stützt, ist das besonders wichtig. Saubere Technologien und digitale Dienstleistungen können dabei helfen, die Abhängigkeit von traditionellen Wirtschaftszweigen zu verringern und ein stabileres Wachstum erzeugen.“
Die EIB unterstützt seit langem erneuerbare Energien, Themen aus dem Bereich Energieeffizienz und Innovationen. Nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine 2022 startete die EU das Programm REPowerEU, um die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffimporten zu reduzieren und die Energiewende zu beschleunigen. Östros: „Wir unterstützen diesen Plan, indem wir das Finanzierungsvolumen der Gruppe für saubere Energien auf ein beispielloses Niveau angehoben haben. Bis 2027 wollen wir zusätzlich 45 Milliarden Euro für Energieprojekte bereitstellen, die im Einklang mit REPowerEU stehen.“ In Österreich finanzierte die EIB zuletzt mehrere Windkraft- und Wasserkraftprojekte, darunter den Windpark Engelhartstetten in Niederösterreich sowie laufende Projekte in Spannberg und im Burgenland. Darüber hinaus unterstützt die Bank Energieeffizienzmaßnahmen in Gebäuden, Industrie und Verkehr. Östros: „2023 haben wir beispielsweise je ein Darlehen an die Erste Bank (75 Millionen Euro) und an die Hypo NOE (135 Millionen Euro) vergeben, um bezahlbares Wohnen zu fördern.“ Weitere Mittel flossen in den Kauf moderner Züge in Ostösterreich sowie in Straßenbahnen und E-Busse für Graz. Zudem finanziert die EIB Forschung und neue Technologien wie intelligente Stromnetze und Batteriespeicher, die den Übergang zu einer kohlenstoffarmen Wirtschaft beschleunigen sollen.
Doch die Mittel der Europäischen Union reichen für die Finanzierung der Twin Transition nicht aus. Monika Rosen, Börsenexpertin und Vizepräsidentin der Österreichisch-Amerikanischen Gesellschaft, betonte: „Die erforderlichen Summen sind enorm und können nicht allein von der öffentlichen Hand gestemmt werden. Private Investoren müssen eingebunden werden, doch dies scheitert oft an den hohen Risiken, die solche Projekte mit sich bringen. Gleichzeitig bleiben die Renditen oft hinter den Erwartungen zurück.“ Besonders im Bereich der Digitalisierung hat Europa Schwierigkeiten, mit den USA mitzuhalten. Rosen erklärte: „Europas geringe Anzahl an Startups ist ein wesentlicher Grund, warum die Produktivität hinter der der USA zurückbleibt. Unser Output liegt etwa 30 Prozent unter dem Niveau, das erreicht worden wäre, hätte die Produktivität seit 2000 im gleichen Tempo wie in den USA zugenommen.“ Daher müssen innovative Unternehmen und Startups gefördert werden, um zu verhindern, dass intellektuelles Kapital ins Ausland abwandert. Ein entscheidender Faktor dabei ist der Kapitalmarkt. „Viele erfolgreiche europäische Unternehmen suchen den Weg in die USA, weil sie dort bessere Finanzierungsbedingungen vorfinden“, so Rosen weiter. In Europa erfolgt etwa 70 Prozent der Unternehmensfinanzierung über Banken, während nur 30 Prozent über den Kapitalmarkt abgewickelt werden. In den USA ist dieses Verhältnis genau umgekehrt. Rosen: „Das Ziel in Europa muss sein, den Anteil des Kapitalmarktes an der Unternehmensfinanzierung auf 50 Prozent zu steigern.“ Das wird schwierig, da Anleger in Europa sehr risikoavers sind und der Kapitalmarkt, insbesondere in Österreich, ein schlechtes Ansehen genießt. Diese Risikoaversion wird zum Mühlstein um den Hals unserer Konkurrenzfähigkeit, warnte bereits der ehemalige italienische Premierminister Enrico Letta, der im April 2024 den Bericht über die Zukunft des gemeinsamen Marktes veröffentlicht hat.
Investoren suchen zunehmend nach Möglichkeiten, nicht nur finanziellen Gewinn, sondern auch gesellschaftliche und ökologische Wirkung zu erzielen. Nachhaltige Finanzprodukte wie ESG-Fonds (Environmental, Social, Governance) rücken daher stärker in den Fokus. Doch es gibt noch Raum für Wachstum: „Der Anteil der ESG-Fonds am weltweiten Fondsvolumen hat 2023 zwar mit 7,9 Prozent einen Rekord erreicht“, so Monika Rosen, „doch absolut gesehen bleibt noch viel Potenzial.“ Problematisch bleibt das Greenwashing: Viele Produkte halten nicht, was sie versprechen, oft fehlt es an Transparenz und Anlegern an Wissen. Für die erfolgreiche Finanzierung der Twin Transition müssen Finanzdienstleister verstärkt in Aufklärung und Wissenstransfer investieren, um fundierte Entscheidungen zu ermöglichen.
Eine Schlüsselrolle bei der Finanzierung der Twin Transition wird also auch der Kapitalmarkt spielen. Christoph Boschan, CEO der Wiener Börse, betonte: „Der Kapitalmarkt ist für eine erfolgreiche Transition unverzichtbar. Für die digitale und grüne Transformation sind in Europa Investitionen von hunderten Milliarden Euro notwendig – jährlich. Das braucht das Kapital privater Investorinnen und Investoren.“ Um diese Investitionen zu fördern, hat die Wiener Börse das Vienna ESG Segment ins Leben gerufen, das mittlerweile mehr als 100 nachhaltige Anleihen mit einem Volumen von über 27 Milliarden Euro umfasst. Die Nachfrage gerade in diesem Segment ist groß. Boschan: „Das ist nicht zuletzt an der positiven Entwicklung des Vienna ESG Segments ablesbar. Ich erwarte hier auch in Zukunft weiteres Wachstum, denn Emittenten benötigen für die notwendigen Investitionen viel Kapital. Auf der anderen Seite sind die Anleger zunehmend daran interessiert, dass ihr investiertes Geld nicht nur langfristige Renditen bringt, sondern auch für Lösungen der wachsenden globalen Herausforderungen verwendet wird.“ Trotz dieser Fortschritte zeigt sich jedoch, dass heimische Unternehmen oft noch zögerlich sind, den Kapitalmarkt zur Refinanzierung zu nutzen. 2023 gab es lediglich zwei Listings im „prime market“ und eines im „direct market plus“. „Das ist für einen Markt unserer Größe durchaus im Rahmen“, so Boschan. Dennoch unterstrich er, dass Österreich über ein kreditzentriertes Finanzierungssystem und eine wenig ausgeprägte Kapitalmarktkultur verfügt. Um den Kapitalmarkt attraktiver zu gestalten, sind laut Boschan politische Maßnahmen notwendig. „Es braucht – und das ist ein europaweites Thema – mehr Kapital am Markt, sprich größere Liquiditätspools. Zum Beispiel sollten Pensionskassen verstärkt in börsennotierte Unternehmen investieren. Auch eine Abkehr von der steuerlichen Sanktionierung von privater Vorsorge durch die KESt würde helfen.“