Europa konnte in den beiden letzten Jahrzehnten nicht mehr mit dem Wirtschaftswachstum der Mitbewerber mithalten. Neben hohen Energiepreisen und geringem Produktivitätszuwachs hat man bis zuletzt einen ungehemmten Regulierungsansatz verfolgt. Dazu fehlte es an einer großen Vision für den europäischen Standort. Prognosen erwarten, dass das Weltwirtschaftswachstum in Zukunft fast zur Gänze außerhalb Europas stattfinden wird. Werden nicht rasch Reformen angegangen, droht die EU noch weiter zurückzufallen.
„Das sollte ein dringender Weckruf sein: Wir brauchen eine umfassende Neuausrichtung, wenn wir mit der Weltspitze mithalten wollen. Eine Strategie zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit mit Wachstumsimpulsen für Europa“, so IV-Generalsekretär Christoph Neumayer. „Als Industriellenvereinigung begrüßen wir deshalb besonders, dass sich die EU-Kommission mit dem Competitiveness Compass nun der Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit widmet“, so Neumayer. „Leider sind jedoch die Vorschläge darin noch zu wenig weitgreifend. So sollte auch das Thema einer Zurücknahme bereits beschlossener Maßnahmen, wie beispielsweise der vorliegenden Lieferkettenrichtlinie dringend diskutiert und umgesetzt werden.“
Mit dem Competitiveness Compass hat die EU-Kommission sich zum Ziel gesetzt, den Rückstand der EU gegenüber den globalen Mitbewerbern aufzuholen. Der Fokus soll dabei auf drei Säulen liegen: die Schließung der Innovationslücke, die Vereinbarkeit von Dekarbonisierung und Wettbewerbsfähigkeit und die Reduzierung übermäßiger Abhängigkeiten. Damit orientiert sich die die Kommission stark an den Empfehlungen von Mario Draghi und Enrico Letta.
Reduktion der Berichts- und Regulierungslasten
Angekündigte Maßnahmen wie das Omnibus-Gesetz, das Berichtspflichten bündeln und Überregulierung bekämpfen soll, die Unternehmen für das EU-Lieferkettengesetz, die Nachhaltigkeitsberichtserstattung (CSRD) und die EU-Taxonomie erstellen müssen, sollten schnell umgesetzt werden. „Vor allem ist es hier auch wichtig, dass die Mitgliedsstaaten bei der Umsetzung ausschließlich die EU-Anforderungen erfüllen und die Berichtspflichten nicht 27-mal national unterschiedlich auslegen“, ergänzt Neumayer.
Der Draghi-Bericht verdeutlicht die unterschiedliche Entwicklung in den USA und der EU: Auf US-Seite wurden im Zeitraum 2019-2024 insgesamt 3.500 Gesetze und rund 2.000 Resolutionen erlassen, während die EU im gleichen Zeitraum rund 13.000 Rechtsakte verabschiedet hat. „Die Gesetzesflut muss eingedämmt werden, um Freiräume für Innovation und Investitionen zu schaffen und weiterhin global wettbewerbsfähig zu sein. Insofern ist das Omnibus-Gesetz ein erster wichtiger Schritt. Allerdings muss klar sein, dass weitere Reduktionen der Berichts- und Regulierungslasten in diesem Jahr folgen müssen.“
Ein neuer Wettbewerbsfähigkeitsdeal
Mit dem Clean Industrial Deal möchte man Dekarbonisierungsmaßnahmen stärker mit wettbewerbs- und wirtschaftspolitischen Zielen verknüpfen. „Wir haben uns jahrelang dafür eingesetzt, dass der Green Deal mit einer ehrgeizigen industriepolitischen Strategie ergänzt wird. Daher ist die Ankündigung eines Clean Industrial Deals aus Sicht der österreichischen Industrie begrüßenswert“, sagt Neumayer. Dafür müssen Maßnahmen umgesetzt werden wie die Beschleunigung der Genehmigungsverfahren sowie die Weiterentwicklung aller Technologien, die zur Dekarbonisierung beitragen. Aber auch der Zugang zu privaten Finanzmitteln ist notwendig.