Die schwedische EU-Ministerin Jessika Roswall gibt ein Interview.

„Müssen Investitionen inForschung und Entwicklung forcieren“

Die schwedische EU-Ministerin Jessika Roswall erklärt im Interview, was die EU braucht, um auf dem Weltmarkt wieder wettbewerbsfähiger zu werden. Außerdem verrät sie, was das schwedische Bildungssystem so erfolgreich macht.

In den vergangenen Monaten und Jahren haben geopolitische Herausforderungen und Verschiebungen weltweit das Geschehen geprägt. Die Frage nach der Rolle der EU im globalen Kontext und ihrer zukünftigen Positionierung wird zunehmend relevant. Wie wichtig sind in diesem Zusammenhang eine aktive Handelspolitik und neue Abkommen, etwa mit den Mercosur-Ländern?

Jessika Roswall: Ich bin überzeugt davon, dass es in diesem Bereich noch ungenutztes Potenzial gibt. Ich sehe unsere Rolle darin, ein Vorreiter in den Bereichen industrielle Innovation, grüne Technologien und Digitalisierung zu sein. Wir können und sollten die erste Adresse für Unternehmen sein, die in Zukunftstechnologien investieren wollen. Es gibt kein Patentrezept, aber offene Märkte und globaler Freihandel sind jedenfalls Voraussetzungen. Sie waren und sind nach wie vor ein wichtiger Motor für das Wirtschaftswachstum, sowohl in Europa als auch weltweit, daher brauchen wir mehr Handelsabkommen, nicht weniger. Und wenn die Union keine Partnerschaften mit Ländern und Volkswirtschaften in der ganzen Welt eingeht – wie mit dem Mercosur –, können wir sicher sein, dass andere Länder diese Lücke füllen werden.

Europa hat in den letzten Jahren durch verschiedene Krisen und insbesondere durch hohe Energiepreise an Wettbewerbsfähigkeit verloren. Welche Maßnahmen muss Europa Ihrer Meinung nach ergreifen, um seine Wettbewerbsfähigkeit – besonders gegenüber anderen Akteuren wie den USA und China – zu stärken, und wie beurteilen Sie die aktuellen Initiativen der Europäischen Kommission in dieser Hinsicht?

Zunächst einmal ist es wichtig zu erkennen, dass Europa schon seit Längerem zurückgefallen ist, lange vor der Pandemie und dem jüngsten Anstieg der Energiepreise. Tatsächlich sind die Wachstumszahlen der EU schon seit Jahrzehnten schleppend. Es handelt sich um ein langfristiges Problem, das langfristige Lösungen erfordert. Erstens brauchen wir eine bessere und mitunter auch weniger Regulierung; besser im Sinne von stabil und vorhersehbar, weniger im Sinne der Sicherstellung, dass die Einführung neuer Innovationen auf dem Markt einfach ist. Zweitens müssen wir den Binnenmarkt vertiefen und ausweiten, vor allem im Bereich der Dienstleistungen. Der mit Spannung erwartete Letta-Bericht (Bericht über die Zukunft des Binnenmarkts, Anm.) wird einen wichtigen Beitrag dazu leisten. Drittens müssen wir Investitionen in Forschung und Entwicklung forcieren; die Union investiert weit weniger als die USA, und China investiert kräftig. Als ersten Schritt sollten wir unser eigenes Investitionsziel von drei Prozent des BIP erreichen. Politisch muss unser Fokus in den kommenden Jahren darauf liegen, die langfristige Wettbewerbsstrategie der EU, für die sich der schwedische Ratsvorsitz eingesetzt hat und die vom Europäischen Rat im März gefordert wurde, vollständig umzusetzen. Hier müssen Politik und Industrie zusammenarbeiten.

Europa ist weltweit eine der Regionen mit geringem Bevölkerungswachstum und einer alternden Gesellschaft. Der Mangel an Fachkräften ist zunehmend zu einem Problem geworden. Wie kann die EU ein noch attraktiveres Ziel für qualifizierte Arbeitskräfte und Fachkräfte werden?

Investitionen in Bildung und Hochschulbildung sind absolut entscheidend. Natürlich werden wir Probleme mit dem Fachkräftemangel haben, wenn unsere Bildungssysteme nicht zweckmäßig sind. Ein weiterer offensichtlicher Faktor ist die Beteiligungsrate von Frauen am Arbeitsmarkt; gleichberechtigte Chancen und Beteiligung sind nicht nur für Frauen, sondern auch für junge Menschen im Allgemeinen von entscheidender Bedeutung. Und letztendlich werden qualifizierte Arbeits- und Fachkräfte von führenden innovativen Unternehmen und Branchen angezogen – womit wir wieder bei der Frage der globalen Wettbewerbsfähigkeit wären. Wenn der europäische Markt nicht attraktiv genug für Investitionen und die Einführung innovativer Technologien ist, wird er auch nicht attraktiv genug für Experten und Fachleute sein.

Apropos Kompetenzen: Schweden ist in verschiedenen Ranglisten führend im Bildungsbereich. Was macht das Bildungssystem so erfolgreich?

Es ist sicher eine Kombination aus vielen Dingen, aber der Schlüssel liegt in der Umsetzung grundlegender Prinzipien wie Gleichheit und Zugänglichkeit. Faktoren wie Gratis-Mittagessen und -Schultransport sind wichtig, vor allem in den ersten Jahren. Wenn es um die Hochschulbildung geht, ist Schweden definitiv eine führende Forschungsnation. Schweden ist, wie Österreich, eines der wenigen Länder in der EU, die über drei Prozent des BIP in Forschung und Entwicklung investieren. Der Löwenanteil dieser Investitionen entfällt auf privates Kapital, weshalb Partnerschaften zwischen Universitäten und dem privaten Sektor so wichtig sind.

Jessika Roswall ist seit 2022 Ministerin für EU-Angelegenheiten in Schweden. Im November war sie im Haus der Industrie in Wien für einen Austausch mit österreichischen Industriebetrieben und der IV zu Gast.